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von AndreasStarke » 11. Januar 2017 20:02
Zu Anna Deeter kann ich nur soviel sagen:
(1) Sie hat Recht und (2) Sie ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Betrügerin.
Inwiefern hat sie Recht? Es ist richtig, dass Menschen, die stottern, sehr stark davon profitieren, dass sie sorgfältig und fachlich korrekt in die Einzelheiten der Sprechbewegung eingewiesen werden. AD ist eine fachlich gut ausgebildete Expoertin, was die Einzelheiten der Sprechbewegung angeht. Das zeigt auch schon ihre Beherrschung der amerikanischen Aussprache der englischen Sprache. Für eine native Slawin ist das schon gewaltig. Nicht, dass sie akzentfrei amerikanisches Englisch spricht, sie könnte natürlich auch keine Fachperson täuschen, aber immerhin ...
Die Wichtigkeit der phonetischen Kenntnisse (mit "Phonetik" meine ich hier alles, was in den USA als "Sprechwissenschaft" (speech science) gilt) wird von Nichtfachleuten oft angezweifelt, weil es ja zum Erlernen einer Sprache, gerade in der Kindheit, tatsächlich überhaupt nicht wichtig ist, ob man verstehst, wie der Vorgang des Sprechens funktioniert. Das ist bei Menschen, die stottern, anders. Stottern zeigt nämlich an (und dagegen würde sich AD natürlich heftig wehren), dass bei dem betreffenden Sprecher etwas, und zwar nicht nur Psychisches, sondern Organisches anders ist. Wegen dieser Andersartigkeit ist es kompensatorisch, d.h. als Ausgleich, sehr nützlich, dass ein Stotterer über den Sprechvorgang mehr weiß als ein Nichtstotterer, der diese Kenntnisse nicht zu anderen Zwecken (Schauspieler, Sänger, Fachwissenschaftler, Therapeut, Coach) braucht.
Weil ich das weiß, ist es fester Bestandteil meiner Gruppentherapie VIERMALFÜNF, dass wir mehr als einen vollen Therapietag damit verbringen, phonetische Kenntnisse zu vermitteln. Diese Zeit ist gut investiert, und ich würde mich weigern, eine Stottertherapie durchzuführen, ohne diese Zeit zu haben. Die KST steht auf dem Standpunkt, dass diese Zeit verloren ist, weil sie ich dazu genutzt wird, den "Kasseler Dialekt" zu üben. Das Ergebnis ist, dass in der KST auch phonetischer Unsinn, wie z.B. die Empfehlung der kontinuierlichen Phonation beim Sprechen, vermittelt wird.
Joe Kalinowski, der "Erfinder" des SpeechEasy-Gerätes (Feedback des veränderten eigenen Sprechens zur Erzeugung eines virtuellen Choreffektes) hat im vorigen Jahr einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er darauf hinweist, dass die Sprechtechnik des extrem langsamen Sprechens (1 bis 2 Silben/Sekunde) deutliche Nachwirkungseffekte hat, d.h. natürliches stotterfreies Sprechen erzeugt, und dass dies seit über 40 Jahren bekannt ist und in der Stottertherapie nicht beachtet oder vergessen worden ist. Die Kernüberlegung ist dieselbe wie die der AD: Stotterfreies natürliches Sprechen als hoch erwünschter Nebeneffekt der häufig ausgeführten korrekten Sprechbewegung unter voller Willkürkontrolle.
Das ist auch eine der theoretischen Grundlagen in meiner Therapie VIERMALFÜNF. Wir machen das aber nicht so platt wie die AD, weil die Sache eben komplizierter ist. Es kommen einem drei Umstände in die Quere: (1) Die erforderliche Übungsintensität (Häufigkeit) zur Erzeugung des o.g. Nebeneffektes ist sehr hoch und übersteigt, was viele Patienten zu leisten bereit sind. (2) Viele Patienten haben eine deutliche Angststörung (Balbutiophonie = Angst vor dem Stottern) entwickelt, die sie für eine Logophobie (Angst vor dem Sprechen) halten. (3) Es gibt Patienten, die haben durch jahrlange Anwendung der immer gleichen Stotterreaktion (StR) eine Verkoppelung von Kernstottern und dieser StR geschaffen, die die StR ebenso unwillkürlich macht wie das Kernstottern. Aus diesem Grunde verfolge ich in der Therapie VIERMALFÜNF das Van Riper'sche Phasenmodell, das in der Gruppe die Möglichkeit gibt, auf viele individuelle Varianten der Problemstellung einzugehen. Eine phonetische Unterweisung mit praktischen Übungen in 3 Tagen mit einer Heilungsgarantie erscheint mir völlig unrealistisch, auch wenn die Grundüberlegung der AD und des angeblichen russischen Wissenschaftlers an sich richtig ist. Das einzige, das für den 3-Tage-Kurs spricht ist, die individuelle Variabilität, die in einer Einzeltherapie natürlich größer sein kann als in unserer "EInzeltherapie in der Gruppe". Aber, meine Güte, was sind 3 Tage, mögen sie auch noch so intensiv sein, verglichen mit einem gut geplanten, logischen Ablauf von 20 Tagen innerhalb eines halben Jahres (plus 3 Tage nach einem weiteren halben Jahr)? Gut Ding will Weile haben - sagt der Volksmund. Ich stimme zu.
Ach ja. Die AD ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Betrügerin. Wer behauptet, in Kursen von 3 Tagen bereits 3.000 Menschen, die stottern, vom Stottern geheilt zu haben, lügt mit großer Wahrscheinlichkeit. Schon die Versprechung ist nach den Regeln des amerikanischen Berufsverbandes ASHA unethisch. Wenn sie ASHA-Mitglied ist, kann sie das wahrscheinlich nur bleiben, wenn sie eben kein Honorar (im Voraus ohne Garantie) verlangt, sondern eine "freiwillige Spende". Das wirkt auf mich wie ein waschechtes Betrugsschema.
Ich habe mir neulich AD's Buch "One Lonely Climb to Success" gekauft. Es enthält einen 3-jährigen Facebook-Kontakt von Hussein, einem irakischen Stotterer, der in Finnland lebt, mit AD. Im August 2015 finden dann die magischen "Three Life-Changing Days of the Etalon Training", auch via Skype, statt. Abschließend sind noch einige Chatbeiträge bis Dezember 2015 veröffentlich. Wenn man unterstellt, dass in der Zeit von Juni 2013 bis zu den Three Life-Changing Days ein reger Austausch stattgefunden hat, der mindestens die Qualität einer Psychotherapie hatte mit dem klaren Ziel, Hussein auf die Three Life-Changing Days hinzuführen, bekommt das ganze Verfahren ein völlig anderes Gesicht.
Ich kann nur davor warnen, auf das Angebot der AD einzugehen. Es wird mit großer Sicherheit nicht funktionieren, was heißt, dass ich auch bereit bin, hohe Wetten dagegen einzugehen. Statt dessen kann ich empfehlen, an der Therapie VIERMALFÜNF teilzunehmen. (...) Versprochen wird keine Heilung, sondern eine fachgerechte Therapie durch zwei erfahrene Therapeuten, von denen einer ich bin. Wir behaupten nicht, dass es keine körperlichen Unterschiede zwischen Stotterern und Nichtstotterern gibt und dass es für einen Stotterer im Wesentlichen darauf ankommt, die Sprechbewegung zu verstehen.
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PetraS am 3. Februar 2017 20:16, insgesamt 4-mal geändert.
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